21.12.2009

Vereiste Weichen

Da fallen wenige Zentimeter Schnee, und rutscht die Temperatur so tief ab wie in jedem Jahr zumindest einmal. Und zrrack. Schon fallen zig Züge aus, und die restlichen fahren mit großer Verspätung. Durch alle Medien geistert sogleich der Begriff "vereiste Weichen".
Der ÖBB Beschwerde Blog will aufklären und hinterfragen.

Haben Weichen keine Heizung?

Ja, Weichen haben eine Heizung. Diese produziert Schmelzwasser. Dieses rinnt - hmmm - ab? Kann es nicht mehr, sofern es draußen richtig kalt ist, und absolut jede Bodenritze so gefroren ist, dass sich umgehendst Eis bildet. Es entstehen skurille Eisberge, letztlich kleine Eis-Seen, und schließlich Eisplatten, sodass gar nix mehr geht.

Und Straßenbahnweichen?

Straßenbahnweichen haben den Vorteil, dass sie mitten in der Stadt verlaufen. Da gibts bei jeder Weichenheizung auch gleich ein Ablaufröhrdl in den Kanal runter - Problem gelöst.

Schneeverwehungen

Wenn es einen Meter schneit, dann haben die Schienen weniger Problem, als wenn unter großer Kälte Pulverschnee verweht wird. Denn dieser schichtet sich zu harten, kompakten Platten, und gegen diese hat die ÖBB nach 150 Jahren Bahnbetriebs, noch immer nichts erfunden. *heul* - ich hoffe Sie verstehen was ich meine!

Weichenreinigungspersonal

Gefragt sind die Männer mit dem Besen. Eventuell auch noch eine Akku-Flex, um hartnäckigstes Eis hinwegzufegen. Es benötigt einiges an Personal und Zeit, um die Weichen ständig freizuhalten, das will gut koordiniert sein. Koordinieren, tja, da haben wir ja wieder mal den wunden Punkt getroffen. Das geht ja alles nicht so einfach, bei den ÖBB mit den großen Loks und dicken Waggons und langen Blockabschnitten, ...

Warum nur rund um Wien?

Die Weichenstörungen treten hauptsächlich dort auf, wo a) Wind geht b) viele Schienen liegen c) viele Züge fahren d) Züge in einem Kopfbahnhof enden. Weichenstörungen werden Sie daher auf der Südbahnstrecke zwischen Bruck/Mur und Klagenfurt kaum erleben. Denn hier wird in erster Linie geradeaus gefahren, Zug um Zug, und nicht andauernd irgendwelche Weichen gestellt.
Anders hingegen in großen Endbahnhöfen, wie zB dem Wiener Westbahnhof. Hier müssen ständig Weichen gestellt werden, damit jedes Gleis von den vielen Zügern erreicht werden kann. Ständig sind neue Züge zusammenzustellen, hier herrscht also rege Bewegung. Die vielen Weichen sind ständig in Betrieb, und wenn sie vereisen, dann kommt der Bahnhof schlichtweg zum Erliegen. Es bedarf einer ganzen Mannschaft an Weichenräumern, dieses System in Betrieb zu halten.

Fazit
Faktum ist, dass die Lieferanten von Weichen, den Bahnen der Welt offenbar bis heute noch kein zuverlässiges System anbieten konnten, mit welchem ihre Weichen bei Kälte und Schneeverwehung in Betrieb bleiben.

Dieses findet bei 150 Jahren regem, ertragsreichem Bahnbetrieb extrem rückständig

Ihr Franz Dampf.
P.S.: Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod!

Ergänzungen

Aufgrund von Fachgesprächen kann ich nun ein paar Ergänzungen hinzufügen.
Gelegentlich kommt es vor, dass von einem Schienenfahrzeug durch Erschütterungen genau im Bereich einer Weiche, ein Eisbrocken abgeschlagen wird, der in Folge in der umstellenden Weiche eingeklemmt wird. Die Weichenheizung ist nicht imstande, diesen größeren Brocken mal schnell wegzuschmelzen. Hier hilft also nur mehr die manuelle Reinigung durch Streckenpersonal.

Weiters wurde mir bekannt, dass durch die "örtliche Optimierung" der Bauhöfe, die Arbeitskräfte welche die Weichen manuell reinigen können, nicht mehr gut verteilt zur Verfügung stehen. Sondern nun zum größeren Teil eine beträchtliche Anreisezeit haben. Was mit ein Grund ist, warum eingefrorene Weichen nun umso stärker auffallen, weil es locker mal 45 Minuten braucht - oder auch länger - bis der Reinigungstrupp vor Ort ist.

Bravo, ÖBB. Könnte man nun sagen. Zu Recht?

Wortmeldung in einem Forum
(Hinzugefügt 22.12.2009, 15:35)

Sehr interessante Informationen zum Thema kaputte Weichen fand ich in einem österreichischen Bahnforum. Diesemzufolge sind die zahlreichen Probleme mit den Weichen in den letzten Jahren durch die neue Technik, sowie die Art, wie die ÖBB Personal bereitstellt, stark angestiegen. "Früher" hätte es das niemals gegeben.

Trotz intensiver Anforderungen sämtlicher Knotenbahnhöfe ab 3 Uhr früh wären demzufolge bis 6 Uhr 30 gerade mal 2 Weichenreiniger/Kehrer eingetroffen. Die Wetterlage ab 3 Uhr früh bestand aus Schneetreiben bei -12°C, was die Vereisung von Weichen besonders begünstigt.

Die modernen Hydrolinkweichen versagten auf unterschiedliche Weise. Einerseits kam es zu Problemen mit den Hydropumpen, andererseits versagte der Endlagenprüfer, der korrektes Umstellen der Weiche rückmeldet, bereits bei geringem Schneewiderstand. Durch die flächige Verwendung dieses Weichentyps in den modernisierten Bahnhöfen konnte ohne manuelle Kehrhilfe keine einzige Fahrstrasse mehr gestellt werden.

Auf Bahnhöfen mit mechanischen Weichen, oder bewährten älteren Weichen, gab es wesentlich weniger Probleme. Vor 15 Jahren gab es bei diesen Wettersituationen im Bahnbereich keine nennenswerten Probleme, die Bahn war gegenüber dem Straßenverkehr klar im Vorteil. Das hat sich nun gründlich geändert - zum Negativen für die Bahn.

Die meinem Empfinden nach größere Katastrophe als das technische Problem mit den Weichen betrifft jedoch die Situation mit den Weichenreinigern. Diese Mitarbeiter, die bei solchen Bedingungen unverzichtbar sind, und das Rückgrat eines trotzdem funktionierenden Bahnbetriebs darstellen, wurden nun offenbar neu organisiert, und finden sich im System tiefster Ineffizienz an zentraler Stelle wieder ...
Ein absolut trauriges Beispiel für "Personaloptimierung", meint

Ihr Franz Dampf.

2 Kommentare:

  1. Und selbst wenn die Bahnindustrie eine technische Lösung anbieten würde, die dazu geeignet wäre, das Problem der vereisten Weichen aus der Welt zu schaffen - Sie können sicher sein, dass die Gewerkscaft wissen wird, die Anwendung dieser Lösung zu verhindern. Die größten Schwierigkeiten der Bahn resultieren nämlich nicht aus mangelndem Fortschritt oder aus der Bestellung unfähiger Vorstandsvorsitzender - das Grundproblem ist die Macht der Gewerkschaft, die jegliche Innovation aus Angst vor einem effizienteren Personaleinsatz ablehnt und verhindert. Dass dabei der eigentliche Zweckl der Eisenbahn, nämlich Personen- und Gütertransport auf der Strecke bleiben, ist der Gewerkschaft egal. Erst wenn das System Bahn aufgrund seines hoffnungslosen Rückstands gegenüber anderen Verkehrsmitteln zugesperrt werden muss, steht der Weg für einen Neuanfang offen. Es ist schade, dass die Verantwortlichen das nicht früher erkennen. Auch in anderen Wirtschaftsbranchen konnte ein Mittelweg zwischen Rationalisierung und Innovation geschaffen werden, ohne dass zuviel Personal auf der Strecke bleibt - bei der Bahn scheint das nicht zu funktionieren. Die Allgemeinheit wird bald nicht mehr bereit sein, die Kosten für diesen Irrsinn zu tragen. Dann wird es leider zu spät für eine Reform sein...

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  2. Die Mitarbeiterschulung lässt zu wünschen übrig!
    Denn wenn Mitarbeiter Fahrkarten Verkaufen und sich dabei Strafbar machen (nicht den richtigen Fahrpreis verrechnen sondern noch um rund 130€ mehr wollen) Ermässigungen nicht berücksichtigen tut es mir schon leid auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sein zu müssen!

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